Nach aktuellem EuGH-Urteil: Baufinanzierung widerrufen, 1. Teil

Nach aktuellem EuGH-Urteil: Baufinanzierung widerrufen, 1. Teil

Die Aufnahme eines Immobilienkredits ist keine Entscheidung, die leichtfertig getroffen wird. Immerhin geht es dabei um sehr viel Geld und so ein Darlehen läuft oft über mehrere Jahrzehnte. Doch auch wenn alles gut überlegt und sorgfältig geplant war, kann sich die Unterschrift im Nachhinein als Fehler entpuppen.

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Nach aktuellem EuGH-Urteil_ Baufinanzierung widerrufen, 1. Teil

So ist zum Beispiel möglich, dass sich die Lebenssituation ändert oder die Zukunftspläne über den Haufen geworfen werden. Genauso kann aber auch einfach nur ein deutlich besseres Angebot auftauchen.

Eine Möglichkeit, um dann aus dem Vertrag auszusteigen, ist der Widerruf. Unter bestimmten Umständen ist es sogar Jahre nach dem Vertragsabschluss noch möglich, die Baufinanzierung zu widerrufen. Und ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) könnte die bisherigen Regelungen noch einmal gehörig durcheinanderwirbeln.

In einem zweiteiligen Beitrag erklären wir, was der EuGH entschieden hat, wann sich ein Widerruf der Baufinanzierung lohnen kann und welche Risiken bei einem Widerruf bestehen.

Die Hintergründe zum Widerruf einer Baufinanzierung

Der Gesetzgeber räumt bei einigen Verträgen ein Widerrufsrecht ein. Das ist auch bei Baufinanzierungen der Fall. Das Widerrufsrecht ermöglicht dem Kreditnehmer, den abgeschlossenen Kreditvertrag innerhalb einer bestimmten Frist zu widerrufen.

Durch einen wirksamen Widerruf wird der Kreditnehmer dann so gestellt, als hätte er den Vertrag nie unterschrieben. Für die Baufinanzierung heißt das, dass der Kreditnehmer die Beträge, die er schon abgerufen hatte, zurückzahlen muss. Anschließend kann er aber ein anderes, kostengünstigeres Baudarlehen abschließen.

Dabei ist bei Baufinanzierungen, genauso wie übrigens auch bei anderen Krediten, eine Widerrufsfrist von 14 Tagen vorgesehen. Der Kreditnehmer hat also grundsätzlich nur zwei Wochen lang Zeit, um seine Entscheidung zu korrigieren.

Die Idee hinter dem Widerrufsrecht war nämlich eigentlich, eine Möglichkeit zu schaffen, um Fehlentscheidungen zeitnah rückgängig zu machen.

Voraussetzung für den Beginn der Widerrufsfrist ist aber eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht. Hat die Bank den Kreditnehmer nicht oder fehlerhaft über sein Recht belehrt, den Vertrag zu widerrufen, greifen andere Fristen. Im Ergebnis ist ein Widerruf teils noch Jahre später möglich.

In der Vergangenheit kam das vielen Verbrauchern zugute. Weil die Widerrufsbelehrungen etlicher Banken und Sparkassen Fehler enthielten, hatte die 14-tägige Widerrufsfrist nicht begonnen. Die Folge davon war, dass für die betroffenen Baufinanzierungen praktisch ein ewiges Widerrufsrecht bestand.

Doch 2016 hat der Gesetzgeber eine nachträgliche Befristung beschlossen. Dadurch konnten die meisten alten Baufinanzierungen nur noch bis zum 21. Juni 2016 widerrufen werden. Das unendliche Widerrufsrecht blieb nur bei wenigen Verträgen erhalten. Eine aktuelle Entscheidung des EuGH könnte nun aber wieder zu einer veränderten Sachlage führen.

Wann eine Baufinanzierung noch widerrufen werden kann

Eine fehlende oder falsche Widerrufsbelehrung hat zur Folge, dass die 14-tägige Widerrufsfrist nicht gilt. Ob und wie lange die bestehende Baufinanzierung widerrufen werden kann, richtet sich aber nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

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Baufinanzierungen bis September 2002

Hat der Kreditnehmer seine Immobilienfinanzierung vor dem 1. September 2002 abgeschlossen, scheidet ein Widerruf in aller Regel aus. Denn bis dahin gab es für die meisten Immobilienkredite weder ein gesetzlich geregeltes Widerrufsrecht noch Vorgaben für eine Widerrufsbelehrung. Und nachdem keine Regelungen existierten, kann es auch keine fehlenden oder fehlerhaften Widerrufsbelehrungen geben.

Baufinanzierungen von September 2002 bis Juni 2010

Immobiliendarlehen, die zwischen dem 1. September 2002 und dem 10. Juni 2010 zustande gekommen waren, konnten nur bis zum 21. Juni 2016 widerrufen werden.

Hatte die Widerrufsbelehrung gefehlt oder war sie fehlerhaft, bestand bei diesen Verträgen zunächst ein unendliches Widerrufsrecht. Nachdem der Gesetzgeber aber nachträglich eine Frist gesetzt hatte, fiel beim Großteil der Verträge die Möglichkeit eines Widerrufs weg.

Zeitlich unbefristet ist das Widerrufsrecht seitdem nur noch dann, wenn der Kreditnehmer überhaupt nicht über das Widerrufsrecht belehrt wurde.

Baufinanzierungen von Juni 2010 bis März 2016

Liegt der Vertragsabschluss zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016, gilt ein zeitlich unbefristetes Widerrufsrecht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist oder komplett fehlt. In beiden Fällen kann der Kreditnehmer die Baufinanzierung unendlich lange widerrufen.

Baufinanzierungen ab März 2016

Immobilienkredite, die seit dem 21. März 2016 geschlossen wurden, unterliegen den gesetzlichen Regelungen zum Widerrufsrecht. Demnach verlängert sich die Widerrufsfrist um ein Jahr, wenn die Widerrufsbelehrung fehlt oder Fehler enthält. Ein Widerruf des Kreditvertrags ist somit höchstens zwölf Monate und 14 Tage lang möglich.

Was der EuGH geurteilt hat

Im November 2016 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung zu einer Formulierung in der Widerrufsbelehrung eines Kreditvertrags getroffen. Sie besagte, dass die Widerrufsfrist “nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach §492 Abs. 2 BGB erhalten hat“ beginnt.

Der BGH kam zu dem Ergebnis, dass diese Formulierung wirksam sei (Urteil vom 22.11.2016, Az. XI ZR 434/15). War die Widerrufsbelehrung so formuliert, konnten Verbraucher ihre Kreditverträge deshalb nicht widerrufen.

Der Europäische Gerichtshof sieht die Sache jedoch anders. Er wertet eine solche Formulierung als Verstoß gegen EU-Recht. Die Richter vertreten die Auffassung, dass die Informationen zum Widerrufsrecht auch die Bedingungen erklären müssen, die für die Berechnung der Widerrufsfrist gelten.

Es reicht nicht aus, wenn die Belehrung lediglich auf ein nationales Gesetz verweist, das sich seinerseits auf andere Vorschriften stützt. Der EuGH hat deshalb geurteilt, dass Kreditverträge mit der zitierten Formulierung weit über die 14-tägige Frist hinaus widerrufen werden können (Urteil vom 26.03.2020, Az. C-66/19).

Der BGH und der EuGH kommen damit zu gegensätzlichen Beurteilungen der Rechtslage. Der Fall wurde dem EuGH vorgelegt, weil das Landgericht Saarbrücken um eine Prüfung gebeten hatte. Der Rechtstreit zwischen dem Kunden und der Bank, der der Ausgangspunkt war, liegt jetzt wieder beim Landgericht Saarbrücken.

Allerdings ist davon auszugehen, dass die Parteien das Urteil des Landgerichts nicht akzeptieren werden. Deshalb wird die Sache letztlich wohl per Revision vom BGH entschieden werden. Und bei seinem Urteil wird sich der BGH dann auch mit der Entscheidung des EuGH auseinandersetzen müssen.

Zudem wird die Zukunft erst noch zeigen, wie deutsche Gerichte urteilen werden. Auch die Reaktion der Banken und Sparkassen auf Widerrufe bleibt abzuwarten.

Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass sie einem vorzeitigen Ausstieg aus der Baufinanzierung ohne Weiteres zustimmen werden. Einen erfolgreichen Widerruf des Immobilienkredits garantiert das EuGH-Urteil deshalb auf keinen Fall.

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